Rede zum Christopher Street Day

TW: Queerfeindlichkeit, Angriffe, Suizid

1969, also vor etwas mehr als 50 Jahren, wurde im Stonewall Inn, der euch hoffentlich allen etwas sagt, eine Razzia durch die amerikanische Polizei durchgeführt. Zu dieser Zeit war das nichts Ungewöhnliches, ungefähr einmal im Monat kamen dort Razzien vor, bei denen Besucher*innen von Kneipen mit queerem Zielpublikum kontrolliert oder sogar festgenommen wurden.
Aber an einem Tag ließen sich die Menschen die Schikane nicht mehr gefallen. Mit Pflastersteinen und Glasflaschen wehrten sie sich gegen die Polizei. Erst nach 5 Tagen und mehreren Demonstrationen konnte der Aufstand niedergeschlagen werden.
Heute feiern wir dieses Ereignis in Form des Christopher Street Days.
Wir feiern die Rechte, die wir uns in den letzten Jahren erkämpft haben und demonstrieren gegen die immer noch existierende Queerfeindlichkeit.

Heutzutage sind Rechte für Schwule und Lesben weitestgehend anerkannt und gefeiert. Klingt super, oder? Warum brauchen wir also noch einen Tag der Sichtbarkeit, wenn queere Menschen doch scheinbar sowieso überall ein Thema sind und wir in einer so aufgeklärten Gesellschaft leben?

Hier mal ein paar Fakten: In 69 Staaten wird Homosexualität immer noch strafrechtlich verfolgt, in 11 Ländern droht sogar die Todesstrafe. Dort werden queere Menschen für nichts als der Auslebung ihrer Sexualität ermordet.
2022 wurden 327 trans, nichtbinäre und gender-nonkonforme Menschen ermordet.
Die Dunkelziffer ist weit höher. Die Opfer sind überwiegend Menschen, die schwarz, indigen oder People of Colour sind.
In vielen Ländern verweigern staatliche Behörden und deren Exekutiven nicht nur jeglichen Schutz vor Anfeindungen und Gewalt, sondern sind direkte Akteure der Unterdrückung von queeren Menschen.
Viele Länder haben immer noch keine angemessenen Gesetze, die die Anerkennung des Geschlechts von trans Menschen ermöglichen. Dies führt zu unzähligen rechtlichen Problemen und Hindernissen, wie zum Beispiel fehlenden Möglichkeiten bei der Änderung des Geschlechtseintrags in Ausweisdokumenten oder dem Zugang zu Gesundheitsversorgung und geschlechtsangleichenden Maßnahmen.

Aber das waren ja nur Beispiele aus anderen Ländern, immerhin sind wir hier ja in Deutschland, einem so fortschrittlichen westlichen Industrieland.
Aber während sich in Deutschland auf den ersten Blick immer mehr Akzeptanz zu entwickeln scheint und die Anliegen von trans Personen breiter diskutiert werden, ist 2021 ein Höchststand von Morden an trans Personen gemeldet worden.
Vor allem diejenigen trans Menschen, die neben Transfeindlichkeit auch noch Rassismus erfahren, sind in Deutschland besonders gefährdet, schwere körperliche Angriffe bis hin zu Mordversuchen zu erfahren.
Zudem sind trans Menschen auch in Deutschland häufig mit Diskriminierung und Vorurteilen am Arbeitsplatz konfrontiert. Sie werden oft bei Einstellung und Beförderung benachteiligt, erleben Mobbing und Belästigung und haben ein höheres Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Trans Menschen haben ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Suizidgedanken.
41% aller trans Menschen haben in ihrem Leben einen Suizidversuch hinter sich.
Ich könnte jetzt noch viele weitere Statistiken anbringen, die nahelegen, dass queere Menschen auch in Deutschland immer noch nicht angstfrei leben können. Ich könnte die 1005 Straftaten im Bereich sexueller Orientierung aufzählen, die 227 Körperverletzungen innerhalb eines Jahres. Ich könnte erwähnen, dass die Zahl der Gewaltdelikte von 2022 im Vergleich zu 2021 noch weiter gestiegen ist.

Aber es braucht gar nicht noch mehr Zahlen um zu verdeutlichen, wie wichtig es immer noch ist, für queere Rechte auf die Straße zu gehen und dass es noch ein langer Weg ist, bis Proteste für Gleichberechtigung nicht mehr nötig sind.

Leider haben Firmen den CSD als Chance erkannt, Profite zu schlagen.
Heute auf der Demo waren die Firmen Vitesco, BMW und Infineon anwesend.
Was diese Firmen so machen, ist alles andere, als für queere Rechte zu kämpfen.
Infineon beispielsweise gehört zu Teilen dem Staat Kuwait, wo Homosexualität mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft wird.
Der Autozulieferer Vitesco gehört zum größten Teil der Familie Schaeffler. Die Schaeffler-Gruppe hat ihre Wurzeln im Nationalsozialismus, denn sie übernahm 1940 ein jüdisches Unternehmen, dessen Inhaber vor dem Nationalsozialismus fliehen musste.
Das selbe Unternehmen begann wenige Jahre später mit der Produktion von Waffen und Rüstung und setzte dabei auch Zwangsarbeiter ein.
Auch BMW hat massiv durch die Nationalsozialisten profitiert und dabei auch Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge genutzt. Heute spendet BMW Millionensummen an die transphobe CDU/CSU und ist Hauptsponsor der Thurn-und-Taxis Schlossfestspiele auf dem Gelände der homophoben und rassistischen Gloria.
Was genau haben solche Firmen auf einem CSD zu suchen?

Und auch Parteien haben den CSD als Möglichkeit erkannt, ihre Beliebtheit zu steigern.
Die SPD beteiligt sich beispielsweise sehr gerne am CSD, sogar die CSU hatte in der Vergangenheit in Regensburg schon öfter einen Stand. Beide Parteien waren bis zur letzten Wahl seit 2013, also 8 Jahre lang, in der Regierung. Während dieser Zeit haben sie nichts am transphoben und menschenunwürdigen Transsexuellengesetz geändert. Ganz im Gegenteil, erst 2021 haben diese Parteien gegen die Abschaffung des TSG und gegen ein Selbstbestimmungsgesetz gestimmt. Und jetzt, wo die SPD mit den Grünen und der FDP in der Regierung sitzt, warten wir auch schon seit Ewigkeiten auf ein Selbstbestimmungsgesetz.
Die CSU hat sich generell noch nie sonderlich durch die Unterstützung queerer Menschen ausgezeichnet. 2017 haben sie gegen die Homo-Ehe gestimmt, 2021 dann gegen das Selbstbestimmungsgesetz, dieses Jahr wollte die Münchner CSU Drag-Lesungen verbieten. Andi Scheuer hat sich sogar mit Ron DeSantis getroffen, dem Politiker, der in Florida gerade trans Menschen das Leben zur Hölle macht.

Wie dreist ist es also, dass diese Parteien, die in unserer Regierung sitzen und saßen und uns das Leben schwer machen, sich jetzt trauen, auf CSDs aufzutauchen und um unsere Stimmen zu betteln?
Wir fordern: Kein Stimmenfang für Parteien am CSD!

Wer sich abseits von Parteien noch gerne auf CSDs zeigt, um das Image aufzupolieren, ist die Polizei. Auf Social Media präsentieren sie sich mit Regenbogenflaggen und lassen sich auf queeren Veranstaltungen fotografieren. Und das, obwohl doch gerade der CSD an einen Aufstand gegen die Polizei erinnert! Und zwar sowohl in den USA, als auch hier in Deutschland. Denn während damals die Polizei in den USA queere Menschen in Bars verprügelte, spionierten Hamburger Bullen in den 70ern Schwulen auf Herrentoiletten hinterher.
Und immer noch ist die Polizei keine queerfreundliche Organisation.
Es hat sich selbstverständlich einiges verbessert, beispielsweise gibt es den Verband lesbischer und schwuler Polizeibeamter, der sich gegen Homophobie innerhalb der Polizei einsetzt.
Aber immer noch stellt die Polizei eine Bedrohung für uns dar. Letztes Jahr haben in Karlsruhe Cops beim CSD die Teilnehmer*innen homophob beleidigt. Auf stark gefährdeten CSDs in kleineren Städten mit stark ausgeprägter rechtsextremer Szene, wie beispielsweise letztes Jahr am CSD Plauen in Sachsen, lässt sich die Polizei dagegen gar nicht erst blicken.
Und erst dieses Jahr haben in Freiburg Polizist*innen auf Teilnehmende des CSD eingeprügelt.
Warum sollten wir darauf vertrauen, dass ausgerechnet sie uns schützen?

Die Polizei ist nichts anderes, als die ausführende Gewalt des Staates. Und können wir uns auf diesen Staat verlassen? Ich glaube kaum.
Nach neuesten Umfragen ist die AfD mit 20% die zweitstärkste Partei in Deutschland. Wenn in ein paar Jahren eine rechtsextreme Partei regiert, wird die Polizei nichts anderes tun, als deren queerfeindliche Gesetze durchzusetzen.
Natürlich wollen wir nicht hoffen, dass es überhaupt so weit kommt, aber aktuell ist das nicht auszuschließen. Es ist also ein großer Fehler, die Polizei in unsere Strukturen zu inkludieren, denn die Infos über queere Menschen, die sie dadurch erfahren, werden sie ohne zu zögern in ein paar Jahren an einen potenziell rechtsextremen Staat abgeben.
Es passiert sogar jetzt schon, vor allem in Sachsen und Thüringen, dass Polizist*innen Informationen über linke Menschen an Neonazis weitergeben.

Wir sind uns schon lange bewusst, dass die Polizei als Institution nicht mehr tragbar ist. Eine Berufsgruppe, bei der struktureller Rassismus, Queerphobie und ungerechtfertigte, gewaltvolle Ausschreitungen an der Tagesordnung sind, wird immer unvereinbar sein mit unserem Kampf für Gleichberechtigung und Freiheit.
Es ist sinnlos, an die Polizei als Institution Forderungen zu stellen, solange sie tagtäglich aktiv zur Diskriminierung und Hetze gegen queere Menschen beiträgt.
Die Polizei ist und war nie unser Freund und Helfer.
Und deswegen haben weder die Polizei, noch irgendwelche Parteien etwas auf dem CSD zu suchen!

Was sich zu guter Letzt also noch sagen lässt: Der Christoher Street Day ist ein Tag des Gedenkens, des Widerstands und des Kampfes. Die Befreiung von queeren Menschen kann weder durch Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems, noch der Polizei oder bürgerlicher Parteien erreicht werden.
Wir können uns weder auf die Polizei, noch auf den Staat verlassen.
Informiert euch, wie ihr zum Beispiel ohne offizielle Erlaubnis an Hormone kommt, wir können uns dabei nicht auf irgendwelche Insitutionen verlassen, das sehen wir gerade in Florida.
Schließt euch mit euren Freund*innen zusammen, schaut, dass ihr heute nicht alleine heim gehen müsst. Die Polizei wird euch dabei nicht helfen, das haben wir hier letztes Jahr schon gesehen.

Organisiert euch, vernetzt euch, schließt euch zusammen.